Was mich fröhlich macht… Begegnungen der besonderen Art!
Ich hatte meine Tochter besucht ein kurzes Wochenende lang. Februar, erste Sonnenstrahlen am Schlachtensee. Potsdam, bummeln und in gemütlichen Kaffees Leute beobachten, Quatschen. Ich genieße diese Momente, mit meiner Tochter unterwegs zu sein. Nur Mutter und Tochter gemeinsam. Trotz der Entfernung haben wir eine intensivere Bindung als je zuvor. Oder deswegen. Trotzdem sind die wenigen Wochenenden miteinander zu kurz und ich fahre immer etwas wehmütig nach Hause. Mit dem ICE um 18.oo Uhr.
„Ich hasse Abschiede“ sagt sie. Ja, ich auch. Aber ich sag es nicht. Wir sind beide in der Stimmung, dass wir ein bisschen heulen wollten. Wir tun es nicht. Wir sagen ganz cool „Tschüss, bis bald“ an der S-Bahn Station. Kurze Umarmung. Zeit zum Nachdenken, Innehalten. Begegnungen & Momente, die man nicht festhalten kann
In dieser wehmütigen Stimmung warte ich am Bahnhof Berlin Gesundbrunnen auf meinen Zug.
Nur 3 Stunden, dann bin ich schon wieder zu Hause, im Alltag. Noch 3 Stunden mit mir allein. Der Zug fährt pünktlich, ich finde schnell meinen Platz im Abteil 32, Nr. 103. Das Abteil ist noch fast leer. Erst am Hauptbahnhof steigen die meisten zu. Hier hält der Zug länger, ich blicke nach draußen und sehe viele Menschen hin und her rennen, sich eilig verabschieden. Sich küssen und umarmen. Pendler und Reisende. Familien. Direkt vor meinem Fenster umarmt eine große, sportliche Frau im besten Alter einen jungen Mann. Wendet sich ab und steigt ein. Ich scanne ganz automatisch manche Menschen und denke mir dabei ihre möglichen Geschichten aus. Vielleicht eine Mutter, die ihren Sohn besucht… Sympathische Erscheinung, gepflegt, Businessstyle. Sie läuft durch das Abteil und wieder zurück, suchend.
Bleibt bei mir stehen, schaut auf die Platznummern. „Ach, hier sitze ich, neben Ihnen, wie schön“. Witzige Begrüßung!
Nette Begegnung, denke ich. Sie verstaut das Gepäck und lässt sich fallen.
Genau weiß ich nicht mehr, wie sich unser Gespräch entwickelt hat.
Ein bisschen Small-talk: Gut dass wir reserviert haben, der Zug ist voll.
Ja, immer sonntags. Die vielen Pendler. Pendeln sie auch? Nein, ich habe meinen Sohn besucht. Wie witzig. Ja, ich fahre auch öfter hin und her um meine Tochter zu besuchen. Es entspinnt sich ein kleiner Austausch über das wie und warum. Plötzlich sind wir recht lebhaft im Gespräch. Offenbar haben wir eine gemeinsame Welle. Meine fremde Reisebegleitung erzählt aus ihrem Leben, sie hat allein erziehend ihre Karriere mit Kind gemeistert, über viele Hürden und ohne Unterstützung. Ich erzähle von meiner Geschichte. Immer mit Partner, seit 42 Jahren. Schwierige erste Jahre mit 2 Kindern, quasi allein verdienend, weil der berufliche Einstieg des Partners nicht reibungslos gelingt.
Wir sind Frauen der 50/60iger Jahre Generation, die Emanzipation geübt haben.Reingeworfen in eine Entwicklung, die weder geplant noch vorhersehbar war.
Wir haben von unseren Eltern noch ein sehr konservatives Lebensmodell vorgelebt bekommen.
„Wozu Studium, du wirst heiraten und Kinder haben!“ Ja, wir kennen beide diese Prägung. Aber es kam anders, wir mussten uns emanzipieren, Verantwortung übernehmen. Das Leben selbst in die Hand nehmen. „Unseren Mann stehen“. Ja, wir haben unsere Frau gestanden. Voll und ganz.
Der Außenstehende würde uns vielleicht als taff und geerdet bezeichnen, das verbindet. Wir philosophieren über Lebensgeschichten, Männer, Kinder, Eltern. Beziehungen, Karriere und Erfahrungen. Wir siezen uns die ganze Zeit, haben keinen Namen.
Aber wir erzählen uns tiefe Einblicke und Ansichten über unser Leben als ob wir uns schon ewig kennen würden.
Keine Pause, Berlin bis Hannover. 2 Stunden. War das schon Hannover? Wir lachen, ja! Sie sagt:
“Das ist ja mal eine schöne Begegnung. Das macht richtig Spaß. Hab ich noch nie erlebt“. „Ja, das ist selten. Die meisten Reisenden vergraben sich nach der Abfahrt in ihren Laptop oder in ein Buch oder in Musik. Selten entspinnt sich ein Gespräch.“
Aber offenbar hat’s bei uns gefunkt. Auch wenn man sich fremd ist, verbinden ähnliche Erfahrungen, schwierige Zeiten. Sie erzählt, dass sie aufgrund einer schweren Erkrankung den Job aufgeben musste. Mit Mitte Fünfzig. Ein ungeplanter Ausstieg.
„Man wird dankbarer. Man sollte nicht so viel planen, lieber das Leben genießen !
Kurz vor Bielefeld: „Ich heiße Martina. Wir können uns doch auch duzen!“ “ Ja, das ist wohl angebracht :-)“ Wir lächeln beide. Die Situation ist ein bisschen bizarr, vermutlich hören die Mitreisenden interessiert mit. Egal, die sehen wir nicht wieder.
Wir schauen auf die Uhr, es bleibt nur noch eine gute halbe Stunde, der Bogen ist gespannt von Kindheit bis jetzt. Zwei Leben mit schnellen Veränderungen, in fliegenden Zügen. Die Wörter fliegen hin und her. Pausenlos. Unglaublich entspannend und spannend.
„Vielleicht sehen wir uns mal in Berlin. Wann fährst du das nächste Mal?“ „Im April.“ “ Ich auch!“
Kurz vor dem Ziel gebe ich ihr meine e-mail Adresse. „Wir können ja mal versuchen, den Kontakt zu halten“. „Ja, warum nicht“. Eine wirklich ungewöhnliche Begegnung.,
Ich habe mal anlässlich eines Geburtstages Frauen eingeladen, die ich im Laufe meines Lebens an irgendwelchen Stationen kennen gelernt und mitgenommen habe auf die Reise die sich Leben nennt. Gymasium, Ausbildung, Kindergarten und Schule der Kinder, Job, Urlaub, usw., da wird deutlich wie wichtig Begegnungen mit Menschen sind. Ohne sie würde was fehlen.
Ein bisschen wie das Spiel Kofferpacken. Kennt ihr das: Ich packe meinen Koffer und nehme mit
Die Dorothea, die Susanne, die Barbara, die Monika, die Petra, die Babsi, die Anja, die Silke, die Sabine…..
Berlin ist auch ein Abschnitt in meinem Leben. Ein Kind in Berlin zu haben, bedeutet auch sich wieder zu öffnen für neue Erfahrungen, neue Menschen und Eindrücke. Das ist genau das, was ich mag an meinem Leben. Immer offen sein für Neues.
Also nehme ich Martina auch mit.
Vielleicht war es nur ein besonderer Moment, vielleicht entwickelt sich aber auch eine Freundschaft.
Das weiß man vorher nicht. Aber das Leben hält immer an der einen oder anderen Stelle Überraschungen parat. Wenn man sich verschließt, bleibt man stehen. Wenn man sich öffnet, passieren immer neue Dinge.
Ich steige aus mit einem Lachen im Gesicht und in fröhlicher Stimmung.
Die Wehmut vom Nachmittag ist verflogen. Wenn du hinschaust, bietet sich eine neue Chance.
Auf jeden Fall war es eine besondere Bahnfahrt, die wir nicht so schnell vergessen.
2 Monate später:
…. Fortsetzung hat stattgefunden. Wir treffen uns in Köln …. Und reden weiter Schaut mal Euren Nachbarn im Flugzeug oder im Zug an, vielleicht ist es der Beginn einer wundervollen Freundschaft!
„Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen“
(Guy de Maupassant)