Souvenirs des Lebens – Abschied von der Kindheit und mehr
Vor einiger Zeit half ich einer Freundin dabei, den Hausstand ihrer Eltern aufzulösen, die altersbedingt in ein betreutes Wohnen umziehen. Eine schwierige Entscheidung, ein endgültiger Abschied von allem lieb gewonnenen Dingen. Es geht dabei um die gesammelten Werte von mindestens 50 Jahren oder mehr, die ihren unverrückbaren Platz in einem eigenen Haus hatten. Sammelsurium und Souvenirs von mindestens zwei Generationen.
Sie hat einen Hauströdel organisiert.
Alles muss sortiert werden, fast jedes einzelne Teil wird in die Hand genommen, Gläser und Geschirr gereinigt.
Es kommen Schätze zum Vorschein, die ihren Dornröschenschlaf hinter dunklen Schranktüren beenden, um ein letztes Mal in diesem Haus in voller Pracht ihre Schönheit zu entfalten.
Vom Puppenhaus aus den 50igern, Käthe-Kruse-Puppen die wenig bespielt wurden, Spielzeugklassiker der 70iger und Porzellan aus längst vergangenen Zeiten, Fürstenberg und Arzberg leuchtet in blau und Gold. Antiquitäten vom Grammophon über einen alten Toaster und ein Mikroskop, ein handgeschnitztes Tischchen der Urgroßmutter und ein handgeschriebener Heiratsantrag des Opas, gerahmt. Souvenirs des Lebens : eine unzählige Menge von Haushaltsartikeln, teils gebraucht, teils noch original verpackt. Bilder, selbst gemalte und solche die kunstsinnige Menschen angeschafft hatten.
Alles was man unbedingt nicht braucht
(Mein Lieblingsspruch in Bezug auf die ganzen überflüssigen Nettigkeiten, die man so anschafft im Laufe eines Lebens.) Erinnerungen stecken in allen Souvenirs. An vergangene Urlaube mit den Eltern, an schöne Tage mit der Oma, an Schulzeiten und alte Liebe. An glückliche Kindertage.
Es kommen Menschen ins Haus, die stöbern und (noch) keine Beziehung zu den Dingen haben.
Ich bin überrascht, wie viele insbesondere Ältere hier fündig werden und ihren vermutlich ohnehin schon vollgepackten Regalen noch einige neue alte Dinge hinzufügen. Ich auch. Obwohl ich mich eingangs selbst verpflichtet habe, nichts zu kaufen, übernehme ich eine kleine Teekanne, ein Set aus Steingut in herrlichen Minttönen (für meine Tochter), eine alte Leinentischdecke, die ca. die 10te im Schrank sein wird, ein blau geblümter Tortenteller, ein ägyptisches Papyrusbild, ein paar alte Geschichtsbücher für meinen Mann, ein altes Original Kochbuch von Henriette Davidis.
Alles Schätze, die mein spontanes Bedürfnis auslösen sie besitzen zu wollen. Wäre doch schade, wenn das alles am Ende doch dem Entrümpler zum Opfer fiele. Vor Jahren habe ich ähnliche Schätze aus der Wohnung meiner Mutter in Kisten verpackt …
Meine Freundin wird ab und an von emotionalen Schüben überwältigt, als alte Freunde kommen die auch noch Erinnerungen an alte Zeiten mitbringen.
Es ist, als ob jemand das ganze Leben im Schnelldurchlauf aufwirbelt,
Bilder, Begegnungen werden in einem Staubwirbel plötzlich aus einem Nebel wieder hoch gehoben, klar und deutlich drängen sich Szenen aus einem Leben in dein Bewusstsein. Die erste Liebe, ein Mitbringsel aus einem phantastischen Urlaub wie der grüne Lampenschirm aus Thailand, der nie leuchtete aber wenn er denn dürfte ein wahnsinniges Licht verbreiten könnte. Viele Teile des bunten Lebensmosaiks haben eine Geschichte, einen Wert, ein Leben. Und nun tut es um jedes Teil auch ein bisschen leid, wenn es denn dieses Haus verlässt.
Viele Freunde kommen: alles in gute Hände abzugeben. Geschichten werden ausgetauscht. Es ist ein Rausch der Erinnerung im Schnelldurchlauf, verbunden mit einem endgültigen Abschied – von der eigenen Kindheit, vom Elternhaus. Obwohl die Eltern meiner Freundin Gott sei Dank noch leben, ist doch das Gefühl fast gleich wie ich es vor zwei Jahren hatte.
Eine Ära geht zu Ende, du kannst nichts festhalten.
Immer wieder müssen wir uns trennen, lösen, loslassen. Ein unaufhaltsamer, manchmal trauriger, aber auch ein reinigender Prozess, sich zu trennen.
Wir sehen auch, wie sehr wir im Leben auch mit intensivem „Habenwollen“ Dinge angeschafft haben, die wir zeitlebens manchmal gar nicht benutzt haben, wie z.B. das teure Geschirr, dass man vielleicht zu ein oder zwei Anlässen auf den Tisch gestellt hat um es möglichst zu schonen. Und jetzt? Viel ist es nicht mehr wert, weil einfach zu viel im Angebot ist.
Abgesehen mal von den Geldwerten wird mir bewusst, dass all diese Dinge aber weiterleben werden, irgendwo mit jemand anderem eine Erinnerung aufbauen werden.
Deswegen ist das Sammeln zeitlebens ein Bedürfnis, Erinnerungen festzuhalten. Ich selbst sammle gerne kleine und große Souvenirs von überall her. Sie lassen Bilder entstehen und machen Momente greifbar.
Die Beziehung zu den Dingen ist vor allem Erinnerung. Das macht auch glücklich.
Die Herkunft wird irgendwann keine Rolle mehr spielen, wenn das schöne Villeroy Val bleu Kaffeeservice einen neuen Platz in einer schönen Vitrine findet und seinen neuen Besitzer glücklich macht.
Aber das ist es nicht nur was mich berührt hat an diesem Tag, ich fand es einfach schön wie viele Freunde gekommen sind und diesen Abschied mit einer Umarmung und einer Erinnerung geteilt haben, Verständnis und Nähe ausgedrückt haben an diesem Tag.
Der Papa meiner Freundin hat tatkräftig mitgeholfen, er war erstaunlich klar und vermeintlich unsentimental.
Chapeau und Respekt! Jeder auf seine Art.
So wurde ein Hauströdel ein ungewöhnlicher Event mit neuem Erinnerungswert. Hier sind sich Menschen begegnet, die sich gegenseitig unterstützt und geholfen haben. So wurde dieser Abschied eine neue Episode, an die sich meine Freundin immer erinnern wird.
Dieser Abschied hat einen besonderen Platz in ihrem Leben und ich habe erlebt, dass auch dies ein reinigender und hilfreicher Schritt sein kann.
Ich bin dankbar, dass ich Teil dieses Moments sein konnte.
Ein schönes Leben noch für alle, die sich verabschieden müssen.
Der Kreis schließt sich immer wieder.
Eure Ute